Call for Papers – Bewegtbilder 2022 (23.-24.06.2022) – Symposium der Forschungsgruppe Bewegtbildwissenschaft Kiel|Münster: „Neue Erzählformen in dynamischen Bildtechnologien – Formprobleme zwischen Populärkommunikation und autonomer Kunst“

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Date/Time
Date(s): 23. June – 24. June
All Day

Location
Muthesius Academy

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Call for Papers – Bewegtbilder 2022 (23.-24.06.2022) – Symposium der Forschungsgruppe Bewegtbildwissenschaft Kiel|Münster: „Neue Erzählformen in dynamischen Bildtechnologien – Formprobleme zwischen Populärkommunikation und autonomer Kunst“

Prof. Dr. Lars C. Grabbe (MSD – Münster School of Design), Prof. Dr. Patrick Rupert-Kruse (FH Kiel), Prof. Dr. Norbert M. Schmitz (Muthesius Kunsthochschule Kiel)

Jeder Fortschritt, jede Neuerung größeren Ausmaßes – nicht nur der Techniken, sondern auch der Konfigurationen innerhalb und zwischen verschiedenen Dispositiven der Medien –provoziert nach einer kurzen Phase spielerischen Experiments eine erneute Konsolidierung wie deren ästhetische Reflexion: Diese Dualität kennen wir spätestens seit den Tagen industrieller Kommunikation als eine Trennung zwischen Massenkommunikation und Kunst. Dies lässt sich gleichermaßen bei der Entwicklung des zentralperspektivischen Bildes, der frühen Fotografie oder ganz besonders der Kinematografie beobachten. Nach einer ersten Phase des Kinos der Attraktionen entwickelte sich eine neue und einzigartige Formensprache des Classical Style als konventionalisierte Gestaltungsregel, die zugleich und teilweise in scharfer Opposition verschiedene Gegenbewegungen auslöste oder als deren explizite Reflexion durch individuelle künstlerische Formensprachen überformt wurde, wie der Stilistik des sowjetischen Avantgardekinos oder der autonomen Filmavantgarde zwischen Abstraktion und Surrealismus. Zudem entwickelten sich funktional spezialisierte Sonderbereiche, beispielsweise des Werbefilms, mit wiederum eigenen Formkonventionen, bei denen häufig die experimentellen Innovationen der Avantgarde für persuasive Zwecke instrumentalisiert wurden.

Von den Ästhetiken der autonomen Moderne wird dabei oft übersehen, dass diese neue und letztlich bis in unsere Tage bei allen Variationen maßgebliche Konvention des Classical Style keine rückwärtsgewandte naiv mimetische Ästhetik darstellt, sondern eine hoch artifizielle gänzlich neuartige innovative Relation von Zeit und Raum kennzeichnet, wie es von Erwin Panofsky schon früh in einer berühmten Formulierung meisterlich auf den Punkt gebracht wurde: Für ihn lassen sich die „spezifischen Möglichkeiten des Films […] definieren als Dynamisierung des Raumes und entsprechend als Verräumlichung der Zeit“. Diese Zeit-Raum-Konstellation ist das entscheidende Merkmal, das eben die Kinematografie von der bloß bewegten Fotografie unterscheidet. Diese damals neue ästhetische Konvention und Praxis ist so universal und erfolgreich geworden, dass sie gewissermaßen als eine Art zweiter Natur der modernen Zeit-Raum-Erfahrung wahrgenommen wird.
Wenigstens im Bereich der populären Narration blieb es bislang in Filmen wie AVATAR (Cameron 2009) dann doch eher bei herkömmlichen Narrationstechniken mit isolierten spektakulären 3D-Inszenierungen. Der eigentliche Erzählfluss als Movens des populären Kinos bleibt davon aber unberührt. Insofern, und hierfür spricht auch die avancierte nicht nur ökonomische, sondern auch ästhetische Positionierung der Computer-Games im Bereich der Entwicklung dynamischer dreidimensionaler Darstellungsformate, oder der zunehmenden Etablierung virtueller und augmentierter Kommunikationsmedien, wiederholen sich gewissermaßen Formen und Aspekte des Kinos der Attraktionen aus der Frühzeit der Kinematografie in unterschiedlichen medialen Verwendungskontexten. Es sind eher tiefenillusionistische Dokumentar-Ästhetiken wie die von Wenders in Pina (2011) und Herzog in Die Höhle der vergessenen Träume (2010), bei denen seinerzeit die technische Neuerung einen wirklichen inhalts- und formästhetischen Surplus in Bezug auf die Verräumlichung des Dargestellten ermöglichte. Angesichts der rapide fallenden Produktionskosten und der rasanten Verbesserung der technischen Standards lässt sich allerdings absehen, dass hier und im Feld des experimentellen Films bzw. der sogenannten digitalen Medienkunst sich ein neuer Horizont öffnet. Zudem ist Stereoskopie ein Standard nicht nur im Bereich kinematografischer VR (360°-Filme), sondern auch im Bereich der Darstellung computergenerierter immersiver Räume der VR und AR geworden (Grabbe et al. 2018), Dies ist insbesondere darum hervorzuheben, da diese Technologien in einen Konvergenzprozess getreten sind und neue Formen der Virtual Production und damit des Erzählens ermöglichen – sogenanntes spatial oder environmental storytelling. Damit lässt sich das Erzählen auf drei Ebenen verorten: Raumbild und -ton (Film), Bewegung im Raum (Computerspiel und VR) und Raum als Kontext (AR).

Gefragt werden soll also gleichermaßen, ob es bereits erste Formen der Entwicklung solcher neuen raumbezogenen Formenkonvention gibt, und ebenfalls wo diese neuartigen Illusionstechniken Gegenstand künstlerischer Reflexion werden, eben als eine reflexive Ästhetik, wie es konstitutiv ist für die Ästhetik moderner Kunst?

Damit ist das zentrale Erkenntnisinteresse des geplanten Symposions benannt, welches folgende Fragen zu erörtern wünscht:

1) Was wird sich ändern an dieser kinematografischen Konvention, wenn aus der imaginierten Räumlichkeit in der Zeit, wie sie die decoupage classique kennzeichnete, eine vollständige vierdimensionale Illusion wird?

2) Wie verändert sich die Rezeptionserfahrung aktueller audio-visueller Medientechnologien der Gegenwart, zwischen 3D-Film, virtuellen begehbaren Welten und augmentierten Bilderfahrungen?

3) Welchen Einfluss nehmen die Dynamisierungen von Zeit und Raum auf intra- und intermediale Elemente wie Stil, Gestaltungskonventionen und emergierende Formen des Erzählens?

4) Wie verändert sich das Prinzip des Kinematografischen vor dem Hintergrund zunehmender Digitalisierung, Computer Generated Images (CGI), Virtual Production und den teilweise kulturkritischen Implikationen eines Post Cinema?

Die offizielle Deadline für das Einreichen von Abstracts mit einer Länge von 600 bis 900 Wörtern ist der 1. Dezember 2021. Bitte senden Sie eine kurze Biografie, Kontaktinformationen und das Abstract an Prof. Dr. Norbert M. Schmitz (Muthesius Kunsthochschule Kiel), Prof. Dr. Lars C. Grabbe (MSD – Münster School of Design) und Prof. Dr. Patrick Rupert-Kruse (FH Kiel) über: contact@movingimagescience.com. Bei weiteren Fragen dürfen Sie sich gern an die Organisatoren des Symposiums wenden. Weitere Informationen unter www.movingimagescience.com.

Vorbehaltlich der Entwicklung der Corona-Pandemie soll die Tagung am 23. und 24.06.2022 an der Muthesius Kunsthochschule und der Fachhochschule Kiel stattfinden.

Referenzen
Panofsky, Erwin (1993): Stil und Medium des Films (1936/1947). In: Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers & Stil und Medium im Film, von Ebd. Frankfurt a. M. / New York, NY: Fischer S. 19-51.
Schmitz, Norbert M. (2013): Malewitschs Letzte Futuristische Ausstellung >0,10. In: IMAGE Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, 18, Bild und Moderne, edited by Martin Scholz, 7/2. Köln: Herbert von Halem.
Schmitz, Norbert M. (2018): Die ‘Kunst der Immersion’ als Reflexion menschlicher Natur – Illusionistische Formen als ästhetische Strategien. In: Immersion – Design – Art: Revisited. Transmediale Formprinzipien neuzeitlicher Kunst und Technologie, herausgegeben von Lars C. Grabbe, Patrick Rupert-Kruse, Norbert M. Schmitz. Büchner-Verlag, Marburg. S. 44-77.